Laudatio auf Herbert Somplatzki aus Anlass der Überreichung des Bundesverdienstkreuzes am Band – 17. Juli 2019

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herbert Somplatzki,
Als ich im Namen des Exil-PEN deutschsprachiger Länder, einer Schriftstellerorganisation im Rahmen des International P.E:N., vor rund anderthalb Jahren in der Staatskanzlei Nordrhein Westfalen den Antrag auf Überreichung des Verdienstordens der Bundesrepublik für Herbert Somplatzki einreichte, wusste ich genau, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum eine solch hohe Anerkennung unserem langjährigen Mitglied gebührt. Die Würdigung seines jahrzehntelangen schöpferischen Lebens, sein schriftstellerisches Wirken mit ganz unterschiedlichen Themen und Sujets, seine umfangreiche kulturpolitischen Tätigkeit weit über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus – all diese Gründe für eine solch hohe Auszeichnung aber würden nicht ausreichen, um Herbert Somplatzkis besondere Verdienste für den regionalen, nationalen und transnationalen Kultur- und Literaturbetrieb hervorzuheben. Vielmehr ist es auch und vor allem die Würdigung einer Persönlichkeit, die unter ungewöhnlich schwierigen Lebensumständen sich zu einer vielseitig interessierten, den restaurativen geistigen Zustand der Bundesrepublik Deutschland der Nachkriegszeit mit ungewöhnlicher Energie überwindenden persona grata entwickelt hat.
Die Voraussetzungen für einen solchen Entwicklungsschub waren denkbar ungünstig. Der am 19. Dezember 1934 in einem Dorf in der Nähe von Ortelsburg, in Mazuren in einer Bauernfamilie Geborene geriet als elfjähriger Junge im Winter 1945 in die mörderischen Wirren des Zweiten Weltkriegs, ein Jahr später musste er mit seinen Eltern in das Ruhrgebiet auswandern, wo er nach dem Abschluss einer Volksschule elf Jahre lang im Kohlebergbau arbeitete.
Die ersten akademischen Weihen erreichte Herbert Somplatzki mit der Aufnahme als Ausnahmestudent an der Deutschen Sporthochschule Köln. Der zweite Streich war das Studium an der Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung und Medienerziehung mit dem Schwerpunkt Theater und Literatur. Dazwischen lag im Sommer 1966 eine fast 6.000 km lange Fahrradtour durch West- und Zentraleuropa, dem sein erstes Theaterstück über den spielerischen Charakter von Sport folgte. Es wurde nach seiner Rückkehr ins Ruhrgebiet auch prompt inszeniert und dann auch als Fernsehspiel vom ZDF 1967 ausgestrahlt. Was dann folgte ist eine Häufung von Reisen (so mit einer Delegation deutscher Sportpädagogen nach Japan), die Zusammenarbeit mit dem Jugend Filmstudio Berlin und der Sportjugend NRW bei der Fertigstellung des Films „Sechs Tage – vier F- und eine halbe Stadt“.
Die 1970er Jahre waren noch turbulenter: Tätigkeit im „Werkkreis Grafik der Arbeitswelt“, literarische Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften, Präsentation eines Übungsgeräts während der Olympischen Spiele in München, Produktion von experimentellen Kurzfilmen mit seiner Ehefrau Gerlinde Bahr-Somplatzki, 1972 Beginn eines weiteren Studiums der Erziehungswissenschaften, Germanistik und Kunst, Engagement in Schreibwerkstätten, Teilnahme am Wettbewerb der ARD für Minutenhörspiele, erster Preis für das utopische Bühnenstück „Auf einem anderen Stern“ für das Freilichttheater in NRW. Ich könnte hier fortsetzen mit der Aufzählungen von Aktivitäten und Preisen, wenn es nicht einen größeren Umbruch im Leben von Gerlinde und Herbert gegeben hätte: Dreißig Jahre nach der erzwungen Ausreise aus seinem Geburtstand kehrt Somplatzki in sein masurisches Geburtsdorf zurück und eine lange Zusammenarbeit mit polnischen Gemeinden, Schriftstellern und Theaterleuten in Warschau beginnt.
Ungeachtet des Kriegszustands in Polen zwischen 1981 und 1983, unbekümmert um wachsende Schwierigkeiten mit den staatspolnischen Behörden. Ganz im Gegenteil. In Zusammenarbeit mit der Chefdramaturgin, Dr. Ilka Boll, unterstützt er die deutsch-polnischen Theaterinszenierungen in Essen, schreibt eine Biografie „Ilka Boll- Theaterbrennpunkt Essen“, die im Klartext-Verlag 1989 erscheint. Und in den 1980er Jahren? Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nicht ermüden, doch was dann folgt ist eine ganze Reihe von erfolgreichen Initiativen und Aktivitäten, die ich nur abrissartig aufzählen kann: Aufbau eines Literaturbüros im Ruhrgebiet, Arbeit als freiberuflicher Schriftsteller, Bücher für Jugendliche und Kinder, der Roman „Morgenlicht und wilde Schwäne – ein Sommer in Masuren“, Theaterstück „Vom Ende der Schwarzen Diamanten“ über das Ende des Kohleabbaus im Ruhrgebiet.
Und in den 1990er Jahren? Gemeinsame Aktivitäten mit polnischen Künstler*innen, Teilnahme an deutsch-polnischen Kunsttagen, Mit-Organisation der deutsch-polnischen Begegnungen in NRW, wo sich Johannes Rau und der polnische Botschafter Andrzej Byrt trafen, und Wladyslaw Bartoszewski in der Neuen Synagoge in Essen eine viel beachtete Rede hielt, Somplatzkis Theaterstück „Sie sind von Osten gekommen“ über die familiären Wurzeln berühmter Künstler, deren Eltern aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stammen, verstärkte Zusammenarbeit mit polnischen Institutionen. Die Jahre nach dem politischen Umbruch in Polen sind voller Aktivitäten. 1999 zum Beispiel: Somplatzki entwickelt zusammen mit Tadeusz Ostojski das deutsch-polnische Projekt „Kobieta o Burzynowych Wlosach“ (Die Frau mit den bernsteinfarbigen Haaren), im Jahr 2000: Literatur Polens ist Schwerpunktthema der Internationalen Buchmesse in Frankfurt a.M., und im Anschluss daran findet die Lesereihe „Polen erlesen…“ statt, an der Somplatzki als Autor beteiligt ist.
Ein weiterer Schwerpunkt der unermüdlichen Aktivitäten von Herrn Somplatzki ist zusammen mit seiner Ehefrau die Zusammenarbeit mit evangelischen Gemeinden in seiner ehemaligen masurischen Heimat. Im Jahr 2002 wird er dann Mitglied des Exil-PEN- Zentrum der Schriftsteller*innen im Exil deutschsprachiger Länder, deren öffentliche Arbeit er mit Lesungen aus seinen Werken seither bereichert. Im selben Jahr veröffentlicht er die „Masurische Gnadenhochzeit“, um an die Hochzeit seiner Eltern – Marta und Karl Somplatzki am 12. Mai 1932 zu erinnern. Ein Werk, das den Grundstein für eine erfolgreiche Wanderausstellung legt, die unter dem Titel „Ost-West-Begegnungen in Krieg und Frieden“ von dem Westpreußischen Museum und dem Regionalmuseum im polnischen Krokowa in 29 deutschen und polnischen Städten gezeigt wurde.
An diesem Beispiel, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die besondere Bedeutung von Herbert Somplatzki als Zeitzeuge, Schriftsteller und Vermittler der deutsch-polnischen, einst so schwierigen Beziehungen hervorzuheben. Er gehört zu jener Nachkriegsgeneration, die vor allem nach dem politischen Umschwung am Ende des 20. Jahrhunderts die Gelegenheit zur produktiven Aufarbeitung dieser unheilvollen deutsch-polnischen Geschichte nutzte, mit vielfältigen Veranstaltungen, Vorträgen und Lesereisen durch Polen. Seine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten fanden ihren Widerhall im polnischen Fernsehen, seine vielfältige Zusammenarbeit mit polnischen Universitäten und Hochschulen trug dazu bei, dass er ein anerkannter Vermittler zwischen deutscher und polnischer Kultur geworden ist. Herbert Somplatzki ist es auf diese Weise gelungen, seine familiäre Geschichte mit den großen Linien der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte so zu verbinden, dass er zu einer anerkannten Persönlichkeit geworden war, einer Persönlichkeit, die eine Reihe von Auszeichnungen für seine schriftstellerische und kulturpolitische Arbeiten erhalten hat. Dazu gehörte in den Jahren zwischen 2007 und 2017 die aktive Unterstützung von deutsch-polnischen Städtepartnerschaften, wie z. B. 2007 in Herten. Weiterhin ist hervorzuheben, dass Herbert Somplatzki mit seinem Vortragsprogramm „Wälder und Menschen“ in Deutschland und in Polen an den deutschen aus Ostpreußen stammenden Dichter Ernst Wiechert erinnerte; er initiierte literarische Begegnungen zwischen Schriftstellern aus dem Sauerland und Ermsland-Masuren und nicht zuletzt war er während des Festivals „Literaturland Westfalen“ 2017 an der Planung und Durchführung der Veranstaltung „hier! Angekommen – Fluchtziel Westfalen“ beteiligt.
Lassen Sie mich, MduH, an dieser Stelle innehalten, um noch einmal ganz kurz zurückzublicken auf die unermüdliche soziokulturelle und literarische Tätigkeit von Herbert Somplatzki zum Wohle der Bundesrepublik Deutschland, seinem Bundesland NRW und der deutsch-polnischen Beziehungen. Er ist, nicht zuletzt auch mit der uneigennützigen Unterstützung seiner Frau Gerlinde, zu einem Vorbild für mehrere Nachkriegsgenerationen geworden, die dank einer solchen Persönlichkeit einen nachhaltigen Lernprozess im Hinblick auf die Verständigung von benachbarten Völkern vollzogen haben. Aus diesem Grund ist auch der Antragsteller im Namen des Exil-PEN deutschsprachiger Länder besonders stolz darauf, dass Bundespräsident Steinmeier unserem Antrag stattgegeben hat, Herbert Somplatzki das Bundesverdienstkreuz am Bande zu überreichen. Ich gratuliere auch im Namen unserer Exil-PEN Mitglieder von ganzem Herzen!

Prof. Dr. Wolfgang Schlott

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