Ich frage ja nur

An gewissen Tagen scheint es, als sei zwischen literaturproduzierendem Gewerbe und dem Rest der Gesellschaft alles in Ordnung. Die eine Seite tut, als wünsche sie nichts sehnlicher als neue Bücher, die andere, als glaube sie das. Wie ist es wirklich?

Der Geschäftsmann wird, bevor er die Warenwelt mit einem neuen Lutscher bereichert, zu erforschen suchen, wie viele daran lecken und was sie dabei schmecken möchten. Jede Radiostation, die entscheiden muss, welche Schlager sie abdudelt, verfährt ähnlich. Der typische Autor hingegen (fortan TA genannt) glaubt das nicht nur nicht nötig zu haben, er hält sich darauf auch noch etwas zugute. Statt sich dem Leser anzupassen, erwartet er, dass ihm dieser auf halbem Weg ent-gegenkommt. Mindestens. Hat der damit ein Problem, ist TA beleidigt.

Geht das, wie zu erwarten war, schief, reagiert er abermals unvernünftig. Der Unternehmer pflegt sich dann (je nachdem, ob er im Roman oder im richtigen Leben Bankerott macht) eine Kugel durch den Kopf zu jagen oder in ein Land seiner Wahl abzusetzen. Dem TA liegt beides fern. Vom Markt ausgespieen, hätte er allen Grund, sich zu schämen. Statt aber gesenkten Hauptes sein Urteil zu hören oder wenigstens den Mund zu halten, schreit er desto lauter nach Subventionen. Die er auch noch die Stirn hat, euphemistisch „Fördermittel“ zu nennen.

Subventionen streichen andere ebenfalls ein; Bauers-, Berg- und Bühnenleute etwa. Man hört sie jedoch nicht unablässig lamentieren, es seien nicht genug. Besonders einsichtsvoll sind die An-gehörigen Nährstandes. Bietet man ihnen Geld, damit sie dieses und jenes nicht mehr erzeugen, lassen sie ihre arbeitsamen Hände sogleich ruhen. Müssen Früchte ihres Fleißes gedeihlichem Wirtschaften zuliebe entsorgt werden, nicken sie tapfer. Die Angewohnheit, gelegentlich ein paar Traktoren querzustellen oder vor die Tür des zuständigen Ministeriums eine Fuhre Mist zu kippen, verzeiht man ihnen dafür gern.

Unserem TA, man ahnt es, ist solche Bescheidenheit fremd. Geld hat er, zugegeben, nicht zu erhoffen, wenn er seine Produktion einstellt, doch könnte er der Allgemeinheit diesen Dienst ja auch gebührenfrei leisten. Oder, falls das zu viel verlangt ist, seine Liebhaberei wenigstens durch ehrliche Arbeit finanzieren. Vorbilder gibt es. Der namhafte Übersetzer Martin Luther beispielsweise empfand die Annahme eines Honorars als Entweihung einer Gottesgabe: umsonst habe man das Talent empfangen, umsonst solle man daran teilhaben lassen. TA hingegen stellt seine absatzgefährdete Ware nicht nur weiter her, er will dafür auch noch am Leben erhalten werden.

„...viel Büchermachens ist kein Ende“, klagte der biblische Prediger vor mehr als 2000 Jahren; genutzt hat es bekanntlich nichts. Die Konsequenzen bekommen zunehmend auch Unschuldige zu spüren: und sei es nur, indem sie sich an der Wühlkiste einer Buchhandlung den Hüftknochen wundstoßen. Den Gemeinen TA kümmert das nicht. Gleichgültig gegenüber den Leiden seiner Umgebung, produziert er unbeirrbar weiter. Ist das nicht – ich frage ja bloß – ein Skandal?

Wolfgang David

 

 

 

“Carmina mortae carent”

«Poematli nu cunoscu moartea!»
Mashi a meali trâ moarti
S-amintarâ!
Limba tu cari li-aspunu
Anarga-anarga
Câtâ ascâpitata-agârsheari
S-dutsi!

Hiu, poati, singura
Poetâ tu lumi cari
Moarti poemati amintâ!
Tsi, poati, tu cârtsâ
Va s-doarmâ
Câ nu va s-yinâ vâr’
S-li dishteaptâ!

«Poematli nu cunoscu moartea!»
Dzâtsea aushilji latinji…
Ama nu-i daima ashi!
Poematli-a meali tu carti
Vulusiti,
Nialeapti, agârshiti,
Semnu-ahânda
Di unâ limbâ tsi di multu eara!

 

"Carmina mortae carent"

"Gedichte kennen keinen Tod!"
Nur meine werden geboren,
Um zu sterben!
Die Sprache, in der ich sie schreibe,
Geht langsam, langsam
Dem untergehenden
Vergessen zu.
Ich bin, vielleicht, die einzige
Dichterin der Welt, die
Tote Gedichte gebärt,
Die, vielleicht, in Büchern
Schlafen werden,
Denn niemand wird kommen,
Und sie aufwecken!

............................................

"Gedichte kennen keinen Tod!"
Sagten die lateinischen Vorfahren ...
Aber es ist nicht immer so!
Meine Gedichte sind in Büchern
Eingesperrt,
Ungelesen, vergessen,
Werden sie Zeichen bleiben
Für eine Sprache, die verschwindet?

((Aus dem Aromunischen nach einer rumänischen Interlinearübersetzung von Horst Samson)

UNTERWEGS

„Heimreisen
sind immer länger als Irrwege,
länger als ein Leben…“
Bei Dao

Du und ich wir treiben
Flussabwärts. Es ist eine Reise

Ohne Grund. Wir
Schlagen den Sonnenuntergang auf,

Unser Buch. Fahren
Die Antennen aus und bereiten uns vor.

Die Abendglocken leiten
Uns auf unbekannte Wege.

In den Obstgärten leuchten die
Birnen heller als das

Paradies. Nie kommen wir dort an.

 

OBDACHLOSE ZEITEN

Jeder Tag eine Tretmine. Von Kugeln

Verfolgt hetzen Träume über den Bildschirm,
Gefangengehaltene

Wörter, mit denen niemand spricht ...

Auch wir sind stumm, sind weit davon entfernt
Unschuldig zu sein. Hinter der Stirn

Tobt der nach innen gewendete Schrei. Er ändert

Nichts. Leise rieselt der Tod am Ausgang
Des Jahrtausends. In dunklen Zeiten

Ist unter allen Streichhölzern die Liebe das kürzeste.

© Horst Samson

Aus der Vertäuung

Palimpsest


Nebel über Klang von Wolken
das Stimmenregister letzter Farben


zeichnet Denkfiguren in die Luft verlischt
Nachhall von Schrift


Dieser Eindruck man hätte Zeit
eine Spur hinter sich

© Ilse Hehn

Ilse Hehn, Palimpsest

Wintergarten im März

 

Überschlagt eure Vorräte, legt auch
keine mehr an! Und die Versprechen,
die mehrfach gebrochenen, löst sie ein!

Windstöße lassen Blüten scheppern, schief
hängen die Fensterläden in den Angeln.
Die knatternden Leintücher aus den Mangeln
haben das Gespenst geweckt, das darunter schlief.
Die Geduldsfäden reißen, wenn auch spät.
Gerätschaften geht die ohnehin knappe Luft aus.
Krähen und Sperber streichen ums Haus,
eure Habseligkeiten sind längst erspäht.

Es wird Zeit, die Vorräte zu überschlagen
und die Versprechen einzulösen.

 

 

Variation über einen Mantel

Der Mantel des Schweigens, gebreitet
in der Dunkelheit, der schützende Mantel
des Zweifels, die gehütete Zunge;
Gogols beredter Mantel, die Schatten
der Zweige draußen; sie alle
geistern durch dieses alte, längst fällige
Haus. – "Wie geht's, altes Haus?"

Ich schütze ihn vor, den verschlossenen,
verräterischen Mantel.
Umgebe damit die Dunkelheit.
Mich hütet die Zunge, es weiden die Worte,
lauter fremdartige Tiere, meine Zweifel.
Zweige geistern durch meinen Schatten:
Er fällt. Das Schweigen bricht mich.

aus: Hamersky, Hehn, Schlott, "Die Sehnsucht, die ist mir so leicht"
Schreiben im Exil, Pop Verlag, 2016

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